Zev Birger
(geboren am 1. Juni 1926 in Kaunas, gestorben am 6. Juni 2011 in Jerusalem)
Häftlingsnummer: 85096
Nach einer Kurve blendete uns plötzlich ein Lichtermeer. Ein mächtiger, berghoher Eisenbetonbogen wurde beleuchtet, aus dem unzählige Eisenstangen hervorragten – wie ein überdimensionaler Igel. Neben der Kuppel befand sich eine riesige Grube, die ebenfalls mit Eisenbeton gefüllt war. Todeskessel wurde dieses Höllenloch genannt, und selbst die Kapos behaupteten, daß es nicht einfach sei, da wieder lebend herauszukommen.
– Zev Birger über die Bunkerbaustellen
Zev Birger (ehemals Wolf Birger) wurde im Jahr 1926 geboren und lebte gemeinsam mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder Mordechai in Kaunas. Die Familie war von einer zionistischen Grundhaltung geprägt und gehörte der jüdischen Mittelschicht an.
Als die Deutschen Litauen besetzten, musste die Familie in das neu geschaffene Ghetto in Kaunas umziehen. Dort lebten sie zu viert in einem kleinen Zimmer. Obwohl die Familie zuvor wirtschaftlich gut gestellt gewesen war, litt sie unter den schlechten Lebensbedingungen des Ghettos. Birger begann bald als Klempner zu arbeiten, danach in einer Schlosserei.
Am 8. Juli 1944 wurde das Ghetto geräumt. Fünf Tage lang versteckte sich Zev Birger mit seiner Familie vor der SS, bevor sie schließlich entdeckt und ins KZ Stutthof transportiert wurden. Von dort wurden Birger, sein Vater und sein Bruder in das KZ-Außenlager Kaufering II deportiert.
Sie wurden für Arbeiten auf der Bunkerbaustelle eingesetzt. Birgers Vater starb im November an einem Prostataleiden, sein Bruder wurde Anfang Januar 1945 in das Flossenbürger KZ-Außenlager Leitmeritz deportiert und dort nach einem Fluchtversuch hingerichtet. Birger selbst wurde ins Quarantänelager Kaufering VII gebracht, wo er an Typhus erkrankte. Im Februar 1945 überstellte die SS ihn ins Lager IV.
Wir gingen noch eine Stunde weiter, vorbei an einem Meer von völlig verrosteten Schleppmaschinen, Traktoren, Baggern, Kränen und allerlei anderen Maschinen, die mir wie Seeungeheuer erschienen, bis wir schließlich ans Ziel unseres nächtlichen Marschs gelangten: eine mächtige Eisenbetonbaustelle. Man baute dort eine riesige Kuppel, 100 Meter lang, mindestens 80 Meter breit und etwa 30 Meter hoch. Trotz der grotesken Situation beeindruckten mich der Ideenreichtum und die Kreativität, mit der die deutschen Ingenieure sich solch eine Vernichtungsmaschinerie ausgedacht hatten. Sie hatten all ihr Wissen, ihr Können, ihre Arbeitskraft für ein Ziel eingesetzt: unseren Tod.
– Zev Birger über die Zwangsarbeit in den Bunkerbaustellen
Bei Beginn der Evakuierung des Lagers hielt sich Birger versteckt und wurde am 27. April 1945 von US-amerikanischen Soldaten befreit.
In der zweiten Aprilhälfte schickte man fast alle Insassen unseres Lagers ebenfalls auf einen Todesmarsch. Wir hörten schon die Schüsse der herannahenden Front. (…) Im allgemeinen Chaos, das inzwischen herrschte, huschten wir zu den Erdunterkünften und versteckten uns darin. Wir vergruben uns unter dem Stroh und hofften, daß sie nicht noch einmal die Baracken durchsuchen würden. Aber sie hatten sich etwas anderes überlegt. Nachdem die Häftlinge das Lager verlassen hatten, steckten sie das Lager in Brand.
– Zev Birger über die Evakuierung des Lagers Kaufering IV
Nach seiner Befreiung und seiner Entlassung aus dem Militärlazarett wurde Zev Birger Dolmetscher für die US-amerikanischen Soldaten. Währenddessen half er aus der sowjetischen Zone geflohenen jüdischen Displaced Persons (DPs). Anschließend wurde er Mitglied der Alijah Beth, die die Einwanderung von DPs nach Palästina unterstützte. Am 20. November 1947 wanderte er selbst nach Haifa aus.